Dienstag, 18. September 2018

Wieso wir wählerisch geworden sind

Ein lieber Spender, der sich etwas tiefsinniger mit unserem Projekt auseinandersetzte stellte gute Fragen bezüglich der Auswahlkriterien der begünstigten Familien.

Unsere Antworten könnten auch für Euch interessant sein :-) Daher hier ein Auszug aus dem Brief.



..."fühle mich reich beschenkt durch Menschen wie Sie, die hinter unserem Projekt stehen und Haitianern ganz konkret und sehr großzügig  helfen möchten. Insbesondere möchte ich Ihnen danken, dass Sie sich mit Habitat-HT auseinandersetzen und  etwas tiefer blicken möchten.

Nun möchte ich weiter ausholen, um Sie in die Statuten, das Konzept, sowie die alltäglichen Herausforderungen vor Ort etwas mit hinein nehmen zu können, um ein umfassenderes Verständnis zu ermöglichen.  

Gerne schicken wir Ihnen die Projektbeschreibung zu. Die Form der Genehmigung der Anträge wurde im Februar dieses Jahres vereinfacht, so dass das Formular überarbeitet wurde. Die Auswahlkriterien sind die Gleichen wie zu Projektbeginn 2010, nur dass in den ersten Jahren ausschließlich Erdbebenopfer begünstigt wurden.   

Innerhalb der 8 Jahre in denen wir das Projekt voranbringen, durften wir viele schöne Erfahrungen sammeln, zugleich auch andere, an denen wir hinzulernen möchten. Ein Spendenhaus verlangt eine beträchtliche Summe. Manche Familie ist zwar in gewissem Sinne bedürftig, lügt jedoch um zu solch einem Haus zu kommen. In einem korrupten Staat wie Haiti wird dies gesellschaftlich nicht als unmoralisch, sondern als besonders klug bewertet. Die Familienzugehörigkeit könnte in Deutschland einfach anhand von Geburtsurkunden und Abstammungsregistern überprüft werden. In Haiti existiert hier kein staatliches verlässliches Archiv. Viele haben keine Urkunden, andere haben 5 verschiedene. In einem Fall wurde uns Jahre nach Hausübergabe klar, dass wir betrogen wurden und man Kinder von Nachbarn ausgeliehen hatte, um uns eine kinderreiche Familie vorzutäuschen, während die Frau in Wahrheit die Schwester war. In einem anderen Fall bauten wir ohne spezielle Nachprüfung der Grundstückspapiere. Mitten im Mauern kam die Polizei mit Schlagstöcken auf die Baustelle. Alle Arbeiter rannten davon, außer einer unserer Treuen Verantwortlichen – der wurde dann von den Polizisten in die Zelle gesteckt und wir mussten ihn gegen Lösegeld freikaufen. Wir hätten alle unsere Baumaterialien und Werkzeuge in diesem Moment verlieren können, hätte nicht ein anderer Mitarbeiter aus sicherer Entfernung gewacht und wäre er nicht nach Abfahrt der Polizei sofort zurückgekehrt und hätte Dieufort angerufen. Nun fragen Sie sich sicherlich „Wieso all dieser Aufruhr?“ Das Grundstück wurde mehrfach verkauft, wobei jeder Käufer notarielle Papiere nachweisen kann. So zahlte ein Käufer die Polizei, um ihm tatkräftig Recht zu verschaffen und unsere Klientin daran zu hindern ihr (ihrer Meinung nach rechtmäßig erworbenes)  Grundstück zu bebauen. Man würde meinen, dass die Baustelle pausierte, bis der Rechtsstreit gelöst sei und dann fertig gestellt werden könne. Ohne zuverlässige Grundstücksbücher und Rechtssysteme steht diese angefangene Baustelle bis heute noch so wie wir sie verließen. Für Habitat-HT war dies eine große Lehre, denn wir haben Spendengelder und beinahe unser gesamtes Werkzeug verloren, sowie unser Team in Gefahr gebracht. Nun sind wir vorsichtiger, prüfen mehrfach die Grundstückspapiere, fragen in der Nachbarschaft nach und holen über einen längeren Zeitraum Informationen ein.
Bedürftige Familien gibt es wie Sand am Meer, daher kann ich gut verstehen, dass sich Europäer fragen, was denn so schwierig daran sein mag Familien auszuwählen und ihnen zu einem Haus zu verhelfen, wenn sich denn ein Spender gefunden hat. Laut unseren Statuten finanzieren wir kein Grundstück: die Familie muss bereits eines besitzen, wodurch sich der Kreis der möglichen Begünstigten stark begrenzt. 

Es kann ebenso vorkommen, dass Spenden für ein Haus zur Verfügung stehen, der Bauantrag vom Vorstand bereits genehmigt ist, doch unser Bauteam noch mit anderen konventionellen Baustellen  beschäftigt sind und es so zu Verzögerung kommt. Habitat-HT kann unseren Projektleitern kein regelmäßiges angemessenes monatliches Gehalt zahlen, weswegen sie sich überwiegend durch andere Projekte finanzieren. Dies war von Beginn an so vorgesehen, dass kommerzielle Projekte die sozialen Projekte finanziell stützen und damit auch die Haitianer einen Beitrag leisten und die Spender entlasten. Dies hält unsere Verwaltungs- und Gehaltskosten so gering und ermöglicht es die Häuser in diesem Preisrahmen anzubieten. 

Ein letzter Punkt möchte ich Ihnen noch nennen, der unseren Fuhrpark betrifft. Viele bedürftige Familien wohnen hoch am Berg oder in fast unzugänglichen Geländen, da sie sich kein gut gelegenes Grundstück leisten können. Die Häuser und Latrinen sind so berechnet, dass Benzingeld, Fahrer und eine normale Inspektion durch den Projektpreis abgedeckt sind. Reparaturen, hoher Verschleiß der Reifen etc. sind nicht inbegriffen. Diese Kosten wurden meist privat von uns als europäische Projektleiter finanziert. Inzwischen versuchen wir gewisse Grundstücke zu vermeiden, da unser kleiner LKW und der PickUp ins hohe Alter kommen und wir nach mancher Baustelle hohe Kosten hatten und eine Neuanschaffung von Fahrzeugen aktuell nicht möglich wäre.  

Für den aktuellen Bauantrag für Familie Racine haben wir vereinbart, dass wir Sand, Zement, Wasser etc. von anderen Zulieferern anfahren lassen, um unseren geschwächten Fuhrpark zu schützen, da auch diese Familie hoch oben am berg wohnt und es keine geteerte Zufahrtsstraße gibt."
      
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Sind auch bei Euch Fragen aufgetaucht? Wir freuen uns über eine Mail, oder ein Briefchen :-) und gehen gerne auf Eure Fragen oder Anregungen ein. 
Es tut gut, wenn sich Menschen nicht nur für die Erfolgsgeschichten interessieren, sondern auch bereit sind einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, wo es oft etwas mühsam zugeht. Doch es hat uns niemand versprochen, dass es leicht werden wird – und ganz sicherlich ist es kein Grund das Handtuch zu schmeißen. 
Herzlichen Dank für alle Anteilnahme und alle Spenden. Es bleibt spannend.



     

 

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