Dienstag, 14. November 2017

Port Salut - ein Jahr nach Hurrikan Matthieu

Mit meinem lieben Mann besuchten wir Freunde in Port Salut im Süden Haitis. Emory und Mari Wilson leben seit Januar diesen Jahres dort, um der ländlichen Bevölkerung beim Wiederaufbau der Häuser und Felder zu helfen.
Die Straßen sind relativ gut, neue Eisenbrücken wurden gebaut. 8 Stunden Fahrt - fast so lange wie ein Flug nach Paris, aber bessere Gespräche ohne lauschende Kinderohren :-). Der Süden ist schön grün - es tut meiner Seele gut aus unserem staubigen Goniaves zu entfliehen. Regen, Regen und nochals Regen begleitete uns. Lange Jeans, bunter Sommerschal und dünnes Langarm durften endlich mal wieder zum Einsatz kommen.
Emory nahm uns mit durch Flüsse hindurch, hoch hinauf auf matschigen Wegen den Berg empor. Auf ein Neues wieder mal erstaunlich zu erleben, was ein Auto alles leisten kann.
Erschreckend immer noch so viele Palmen auf den Äckern liegen zu sehen. Wohl die Hälfte der Bauernhäuser sind ein Jahr nach dem Hurrikan immer noch nicht neu gedeckt.
Eine Kinderklinik und mehrere Schulen funktionieren sehr gut und wurden wohl rasch nach der Kathastrophe restauriert. An den Klippen sieht man Häuser, die halb den Felsen hinunterbrechen - es wohnen bis heute Familien darin. Tiere grasen im Regen. Ich wundere mich, denn in Gonaives dürfen die Ziegen vor dem Haus Unterschlupf suchen, doch bei den strohgedeckten Lehmhütten gibt es keine Galerie, also auch keinen zusätzlichen Unterschlupf für Tiere wie Ziegen, Schafe oder Kühe.
Überwältigt von der wunderschönen Natur. Wasserfall mitten in der Landschaft. Ein fröhlich sprudelnder Fluss, eingebettet in einen Berghang. Karibisch schönes Meer mit Sandstrand. Romantische Fischerboote. Am anderen Strand liegen noch Palmen am Boden.
Abends treffen wir uns mit dem leitenden Arzt der Klinik. Sehr sympathisch. Er sei in einem Dorf vor Port Salut großgeworden, habe in der Hauptstadt Port-au-Prince studiert und dann in Kuba seinen medizinischen Abschluss gemacht. Er kam zurück, um in seiner Heimat zu wirken. So viele haben keinen Zugang zu guter medizinischer Versorgung. Seine Frau ist in Miami, wo sie ihr zweites Kind im Januar entbinden wird. Er spricht fließend Englisch, Französisch, Portugiesisch und Spanisch. Er hat die Wahl und manchmal sei er entmutigt und sehne sich nach anderen Wohnorten. Doch bis zum heutigen Tag sei sein Platz hier in Port Salut, sagt er lächelnd.
Marie ist Diabetikerin und hat zudem mit Bluthochdruck zu kämpfen. Morgens steht sie als ohne Kraft auf und braucht erst eine Weile, um sich für den Tag zu sammeln. - Allen Grund zu entscheiden nicht in einem Land wie Haiti leben zu können/wollen. Sie möchte Frauen beibringen Dinge herzustellen, die sie verkaufen können, damit sie ein eigenes Einkommen erwirtschaften können.
Emory ist ein unermüdlicher Geist, herzlich und vernetzend. Ein typischer Pionier. Er hat eine großartige Arbeit im Gonaiver Slum angestoßen, die inzwischen vergleichbar wie die Lebensmission gewachsen ist. Er selbst verliert darüber nie ein Wort. Gott gebraucht Werkzeuge wie ihn und ich bin gespannt was in Port Salut ins Rollen kommt.

"Bei meinem ersten Besuch in Haiti, verlor ich etwas von mir hier in diesem Land.
So musste ich wiederkommen dieses Teil von mir hier zu suchen. Here I am."

Tja, geht es uns nicht auch so? 

Dankbar für dieses schönes Wochende und die inspirierende Freundschaft!



Emory gibt Wellblech an Familien, die bereits die Holzunterkonsruktion aus eigenen Mitteln erstellt haben




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Donnerstag, 9. November 2017

ein Tag auf der Notfallstation in Mirbalais

5:00 morgens ging es los, um 9:00 kamen wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln (ein offener PickUp mit Holzbrett als Sitzbank) im Krankenhaus in Mirbalais an. Eine 17 jährige hat Verdacht auf ein Tumorgeschwür im Hals, das ihr auf den Zungennerv und die Stimmbänder drückt. Ein mir bekannter Arzt arbeitet auf der Notfallstation und versprach mir einen Temrin mit Neurologen, um abzuklären ob es auch einen Gehirnscan braucht oder "nur" einen Hals-Scan.
Welch ein Tag.
Draußen schon aufregende Gespräche, es gab einen Todesfall.
Drinnen liegt ein 7 monatiges wunderhübsches Mädchen in den Armen ihrer blutjungen Mutter; der komplette Rücken verbrannt. Sie wartet auf die Anästhesie um die Hautverklebungen zu säubern.
daneben eine ältere Frau am Tropf, Cholera.
Andere Patienten sind an allerlei Schläuche angeschlossen, Ärzte sind hinterm Vorhang zu gange.
Ein verstorbener Patient wird in ein weißes Leintuch gewickelt und durch den gang an uns vorbei geschoben. Es sei der Dritte heute. 
Die Neurologen konsultieren und verordnen die teuren Scans. Einem Unfallopfer mit vermuteter Schädelfraktur wird ein solcher Zugang zu dem kostbaren Apparat zugesagt.
Drei Neurologen kommen und nehmen sich viel Zeit für professionelle Untersuchungen. Mein Mädchen kann nicht alle Übungen ausführen, so kann sie nicht ihre Stirn runzeln, die Augen nicht komplett schließen und ihre Kopfdrehung nicht kontrollieren. Alle anderen Übungen kann sie ausführen, wenn auch nur schwach.
Wir müssen warten, die Neurologen besprechen sich.
In der Zwischenzeit wird ein knapp 10 jähriges Mädchen an den Armen haltend hereingetragen. Bei einem Motorrdunfall schleifte ihr Bein über den Asphalt, das Fleisch ist abgetragen. Sie schreit fürchterlich.
Wir dürfen raus etwas essen. Bin froh diesen Bildern und dem Geruch für eine Weile zu entfliehen.
Mein Mädchen kann nicht richtig kauen, da sie die Zunge und den Unterkiefer nicht gut bewegen kann. Mit den Fingern schiebt sie die Nahrung in die richtige Kauposition. Vor Anderen isst sie schon lange nicht mehr, weil sie sich schämt so gesehen zu werden. Nach 10 Minuten ist sie erschöpft und packt den Rest Reis mit Gemüse ein für später.
Während wir auf die neurologische Diagnose warten beobachte ich den Klinikablauf in einem Wartesaal. Bewundernswert. Die gesamte Klinik wird vom Ausland finanziert. Medikamente werden kostenlos abgegeben, hochqualifizierte Ärzte angestellt. Überall arbeiten auch Ausländer, die haitianisches Personal anleiten. Es ist auf allen Gängen sauber. Eines ist auf den ersten Blick schnell zu erkennen: viel zu viele Patienten. Manche übernachten 3-4 Tage, um einen Arzt zu konsultieren, Labortest zu machen, die Auswertung zu erhalten und Medikamente abzuholen.
Zurück bei den Neurologen. Gute Nachricht: ihrer Meinung nach seien keinerlei neurologische Auffälligkeiten zu finden. Also kein Gehirnscan. Schlechte Nachricht: sie sind Spezialisiert auf neurologie und können mir für HNO keinen Scan im Hals authorisieren. Der HNO arbeitet nur an zwei Tagen in der Klinik und ist heute nicht da.
Wir bedanken uns herzlich bei unserem Arzt in der Notfallstation, er wird uns einen HNO Termin telefonisch mitteilen - aber es wird dauern, vielleicht Mitte Dezember, sagt er.
Als wir rausgehen trägt ein Vater seinen wimmernden Sohn herein mit völlig verdrehtem Bandagiertem Arm.
Hut ab, was diese Ärzte leisten! In einem Land mit medizinischem Notstand. Wir sind nicht die Einzigen, die diesen weiten Weg auf uns nehmen. Es gibt nur noch in der Hauptstadt einen Scan für CT Aufnahmen. 600 USD für eine Aufnahme. 
Als wir heimfahren, steigt eine Frau mit ihrem Vater ein, die auch schon früh morgens mit uns gefahren ist. Der Mann hat Diabetis und muss einen Zeh amputiert bekommen. Es gibt Diskussionen über das Fahrgeld und er lacht und sagt: "Was? für 200 gds fahre ich nicht mit, da laufe ich lieber nach Gonaives." Er einigt sich mit dem Fahrer auf 150gds und steigt ein. Der Fahrtwind schmerzt ihn so sehr am Fuß, dass er für 50 gds mehr Geld schließlich doch vorne in der Fahrerkabine einsteigt.
Wir kommen hundemüde daheim an. Mit einem unbeschreiblich dankbarem Herzen gesund zu sein!
Für meine Patientin gab es also noch keine konkrete Lösung, aber eine fachliche Info, dass im Gehirn wohl alles ok sei. Immerhin. Nun bleiben wir dran um einen Termin beim HNO zu erhalten und ein CT im Hals machen zu können. - Bitte nicht mehr auf der Notfallstation- fleht meine Seele.


Hut ab, was diese Ärzte tagtäglich leisten! In einer Ruhe, Freundlichkeit, sicheren Handgriffen. Im Kampf gegen die überflutende Not. Jedem Einzelnen, dem geholfen werden kann ist tatsächlich geholfen. Und wenn es nur schmerzlinderndes Sterben ist oder ein gutes Wort bei einer unheilbaren Krankheit.
Die Bilder von den Kindern werde ich so schnell nicht mehr vergessen.
Jeder Kochtopf auf den kniehohen Holzkohleofen wird an die hübsche Maus erinnern. 
Und das 5 monatige alte Kind mit Syphillis im Unterarm. Eieiei.

Ich sehne mich nach heile Welt. - auch wenn ich Deine mit diesem Erlebnisbericht vielleicht angekratzt habe.

Daheim kochten wir ein deutsches Rahmsößchen mit Nudeln und machten bunte Kerzen an. Sich in die Bettdecke kuscheln, mit allen heilen Knochen - in dem Wissen, dass eines Tages alles Leid auf Erden ein Ende haben wird.