Sonntag, 29. April 2012

Auf Fels gebaut

Wir lieben Herausforderungen. Das mag eine der Gründe sein, warum wir neben vielen Flüchtlingslagern in und um Port au Prince ausgerechnet die Familie Cherestal in Canaan als Empfänger eines HABITAT-HT Hauses ausgesucht haben. Obwohl wir uns der Herausforderung des Berges theoretisch bewusst waren, offenbarte sich uns erst nach dem ersten Pickelschlag das tatsächliche Ausmaß der Herausforderung, der wir uns würden stellen müssen, um diese Baustelle zum Erfolg zu bringen.   
  •  Anders als bei den anderen Baustellen, bauen wir der Familie als Nachhaltigkeitsaspekt ein zusätzliches Wasserreservoir, das uns für die Bauphase mit dem nötigen Wasser versorgt und der Familie zukünftig als kleine Geldeinnahmequelle inklusive Eigenversorgung dienen soll. Die Baukosten wird Cherestal allerdings komplett  an HABITAT-HT rückerstatten müssen. Die Zeitplanung: 1- max. 1,5 Tage für den Aushub (Breite, Länge/Höhe  2,6/3,6/ 0,8 m), 2 Tage zum Verschalen, Bewehren und Betonieren.
  •  Leicht zeitlich versetzt soll das eigentliche HABITAT-HT Haus entstehen. Die Zeitplanung: Nach dem Aushub des Reservoirs sollen sich die vielen Helfer (10), die ich dieses Mal mitgebracht habe, an den Aushub des Fundamentes machen, maximal 2 Tage dazu benötigen. Nach dem Wochenende soll mit dem Wasser aus dem gefüllten Becken das Fundament fertiggestellt werden.
Es stellte sich jedoch heraus, dass wir tatsächlich auf Felsen bauen, bzw. unser Fundament in den Felsen schlagen würden. Hochmotiviert ging die Mannschaft am ersten Tag an die Arbeit und legte nach 10 cm ein riesiges Felsplateau frei. Gemeinsam schwangen sie voller Kraft die Spitzhacke und den Vorschlaghammer, doch bereits am Abend wurde jedem bewusst, dass die Zeitplanung nicht eingehalten werden kann. Materialverschleiß, Kraftverlust, Wassermangel – es wurde diskutiert, ob wir diese Baustelle überhaupt fortführen können. Doch die freudige Erwartung in den Gesichtern der Familie ließ uns keine echte Wahl. Die Fertigstellung der Wasserzisterne dauerte insg. sechs Tage, drei weitere benötigten wir für das Fundament des Hauses: Insgesamt 9 anstelle von 3-4 Tagen. Angesichts der Arbeitsleistung meiner Mannschaft bin ich im Nachhinein dennoch stolz, alle haben schwer geschuftet ohne zu nörgeln.  

Warum ausgerechnet Canaan, warum Familie Cherestal?

Der Kontakt zur Familie entstand durch eine Einsatzgruppe von  „Jugend mit einer Mission“ (JMM) 2011 in Haiti. Diese lernte die Familie in einer Zeltstadt in Port au Prince kennen und machte HABITAT-HT auf sie aufmerksam.  Als wir Cherestal im November 2011 kontaktierten hatten sie bereits ein Grundstück in Canaan erhalten. Mehrmals stiegen wir den Berg hinauf, um die Familie zu treffen und stellten fest, dass es schwierig werden würde auf diesem Grundstück zu bauen. Gleichzeitig gab es einige gute Argumente, die dafür sprachen: Die Präsens von HABITAT-HT in einem der großen Flüchtlingsgebiete, Präsentation unserer Bauart gut sichtbar für andere Hilfsorganisationen an der Route National 1, das Zusammenwirken mit Jugend mit einer Mission und letztendlich die Bedürftigkeit der Familie.

Leben unter Planen

Ein paar Tage Zelten gilt als Spaß, wenn es regnet vermindert sich der Spaßfaktor kurzzeitlich, aber es sind ja nur ein paar Tage. Wie es ist 2 Jahre bei Wind und Wetter unter Planen zu leben, diese Erfahrung möchte ich nach den paar Tagen, in denen die Planen unser Nachtquartier gewesen sind, nicht machen. Gemäß dem haitianischen Brauch dem Gast das Beste zur Verfügung zu stellen was man besitzt, gab die Familie mir und Ingenieur Guirlo das einzige klapprige Bett, damit wir nicht auf dem nackten Mutterboden schlafen müssen. Selbst quartierten sie sich vorübergehend in einer kleinen Wellblechhütte auf dem Nachbarsgrundstück ein. In einem Raum schliefen also wir, im anderen unsere Köchinnen und die restliche Mannschaft teilte sich auf, um im LKW oder unter freiem Himmel zu nächtigen. Mit Beginn der Regenzeit Anfang April wurden wir allesamt nass. Mitten in der Nacht wurden Bretter auf den nassen Boden gezimmert, damit man weiterschlafen konnte, ohne im Schlamm zu versinken. Im einzig  trockenen Bett schliefen wir nun zu fünft. Mit dem nächtlichen Regen kamen tagsüber die Moskitos, die uns unbarmherzig aussaugten. 

Die Familie ließ kein einziges klagende Wort verlauten -ein für uns ungewohnter miserabler Zustand ist für Cherestals Familie ein seit 2 Jahren gewohntes Leiden. Jetzt verstehe ich seine täglichen Anrufe, die mich ehrlich gesagt öfters genervt haben, bei denen er versicherte, dass seine Wohnsituation nicht weiterhin erträglich sei und er immer wieder nachhakte, wann HABITAT-HT ihm denn helfen könne.
Cherestals Familie bekommt nun ein sicheres und trockenes zu Hause, dessen Fundament fest in den Felsen gemauert ist. Das Wissen, dass unzählige Menschen immer noch unter Planen leben, die bei Regenwetter und Wind einstürzen, komplett durchnässt werden oder auch so manche Lehmhütte regelmäßig überschwemmt wird (wobei es die Kinder sind, die gewöhnlich auf dem  Erdboden schlafen), all das macht unser Herz schwer. Wir sind uns dessen bewusst nur einen kleinen Teil beitragen zu können und wollen die Freude über die Familien fokussieren, denen wir helfen können, anstatt uns von den Massen an Leid niederschlagen zu lassen. Zugleich bleiben wir tagtäglich damit konfrontiert. Eins ist sicher, HABITAT-HT wächst an seinen Herausforderungen!



 
Fundament des 3 Zimmer Hauses
Wasserzisterne


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