Die Qual der Wahl
Artikel aus dem Journal der Lebensmission 1/2018
Autoren beschreiben manchmal eine Lähmung als
Schreibblockade, Künstler nennen es die fehlende Muse. Mein Team hat eine Art „Lähmung“
befallen, die mir als „Qual der Wahl“ erscheint, was im Folgenden erläutert werden
soll.
Tagtäglich stürmen vielfältige Anfragen auf uns Mitarbeiter
der Lebensmission ein. Manchen kann man aus eigener Tasche rasch helfen, für
andere Nöte braucht es Materialien, längere Beschaffungswege, Kontakte nach
außen, einiges verlangt Zeit, Kreativität und Opfer. Vieles entscheidet man aus
dem Bauch heraus, in einer Grundhaltung der Großzügigkeit.
„Lasst es euch nicht verdrießen Gutes zu tun“, heißt es in
2.Thessalonicher 3,13. und Sprüche 3,27 bestätigt: „Weigere dich nicht dem
Bedürftigen Gutes zu tun, wenn Deine Hand es vermag.“
Manchmal scheint es keine weltbewegende Handlung zu sein,
doch häufig haben unsere Entscheidungen gravierende Auswirkungen auf das Leben
der betroffenen Personen. Hin zum Guten
als Türöffner, oder als eine Blockade wie eine sich verschließende Tür.
Die eine Familie hat ihr Grundstück noch nicht fertig
abbezahlt, eine Andere hat Schwierigkeiten überhaupt legale Grundstückspapiere
zu erhalten. Eine Dritte hat gar kein eigenes Grundstück. Die Geschichte
der Vierten kommt uns unschlüssig vor. Die
Familie die alle Kriterien erfüllt hat ein Grundstück ohne Zugangswege, was
unsere Fahrzeuge frühzeitig altern und die Mannschaft schimpfen lässt, während sie
alle Materialien eigenhändig den bergemporkletternd schleppen müssen- alles
Kosten die das Haus um mehr als 1/3 verteuern würde. Manche sammeln schon
Steine, begradigen unter Schweißperlen den Felsen, junge Männer graben eine schiefe
Grube für eine Latrine. Andere sitzen da und warten ob da Hilfe kommen möge. Wie
unterscheidet sich Passivität, Faulheit, Resignation und Hoffnungslosigkeit?
Bei wem wird man urteilen, dass er aus eigener Kraft sich etwas aufbauen kann
und keine Hilfe von außen nötig hat? Wen will man in seinen Bemühungen unterstützen,
da er Motivation beweist aus dem wenig Vorhandenen etwas zu gestalten? Wer hat
im Vergleich untereinander ein Haus am meisten „verdient“? Hinken denn nicht
all diese Vergleiche, da es in den Slums immer Menschen gibt, die noch ärmlicher hausen und zugleich unzählige
Menschen so viel luxuriöser wohnen? Sympathie und Antipathie, Zugang zu
Kontakten als Vitamin B,… all das spielt stets mit rein. Selbstverständlich
gibt es klare Kriterien, die solche Entscheidungen erleichtern durch eine
Grundorientierung. Letztendlich bleibt jedoch immer ein gewisser
Interpretationsspielraum.
Wer bin ich, dass ich mir anmaße über das Leben anderer
Personen zu entscheiden? – Eine Frage die mich schon so oft bewegt hat.
Maßstäbe und Kriterien geben Orientierung. Es muss eine Wahl
getroffen werden, da die Mittel begrenzt sind. Dennoch bleibt alles was gegeben
werden kann ein Geschenk und damit Gnade. Mein Schwiegervater erklärte mir mal: „Nur
weil ich einer Person Gutes Tue, bedeutet es nicht im Umkehrschluss, dass ich
der Anderen Person gegenüber Unrecht tue, nur weil ich ihr nicht das Gleiche
gewähre.“ Das Gieskannenprinzip würde einem ganzen Viertel pro Person einen
Zementsack schenken anstatt einer einzelnen Familie ein Haus zu bauen. Dies geht völlig an unserer Projektvision
vorbei. Logischerweise muss unser Team also eine Auswahl treffen, welche
Familien eine Latrine und ein Spendenhaus erhalten – und damit auch welche
nicht. Dies kann überfordernd sein und sogar zu Frustration führen, da man sich
hiermit dem Gerede und den Vorwürfen anderer Personen aussetzt. Es könnte dazu
führen, Dinge weniger entschlossen anzugehen. Ganz sicher weniger naiv. Gelähmt
sein innerhalb dessen, was eigentlich Sinn macht, weil der Fokus sich auf zu
vieles verschiebt und Druck entsteht, dem standzuhalten kaum möglich erscheint.
Gesunde Intuition, Menschenkenntnis und geistliche Führung sind einer solchen
lähmenden „Verkopfung“ entgegenzusetzen. Die entsprechende Prise
Selbstbewusstsein nicht zu vergessen, die es ermöglicht manche Entscheidungen
auch mit Gefahr auf Gegenwind zu treffen.
In der Patenschaft ist es eine qualitative Schulbildung mit
anschließender Ausbildung. Die Aufnahme im Kinderdorf als Waisenkind beinhaltet
nochmal so viel mehr: umfassende medizinische Versorgung, fachliche
Betreuungspersonen, kreative Freizeitgestaltung, Aufwachsen in christlicher
Kommune etc. Die Nachbarin mit Kopfweh, die um Paracetamol bittet oder die Oma
aus der Gemeinde, der wir eine Lesebrille schenken – diese Entscheidungen gehen
so viel leichter von der Hand.
Möge Gott uns Weisheit schenken, in diesen Situationen die
richtige Wahl zu treffen. Kein Umstand, so überfordernd er in der
Entscheidungsfindung sein mag soll zu Lähmung oder gar Stagnation führen. Gott möge
unser Herz weich halten und sensibel machen, um nicht abzustumpfen angesichts der
täglichen Nöte und manch aufgedeckter Lüge.
Mögen wir stets im Blick behalten:
· -
mit Freude zu geben
· -
nichts zurückzuhalten und
· -
uns am Fortschritt Anderer aufrichtig zu freuen
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