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Eine Erfahrung, auf die ich gerne verzichtet
hätte-
Dienstag den 4.2.1014 hatte ich etwas Bauchschmerzen,
Unwohlgefühl, doch ich schob es auf den letzten Tag meiner Periode. In der
Nacht begann ich zu brechen und brach daraufhin im Bad zusammen. Mittwochs war
mein Kreislauf so schwach, dass ich dachte es nicht zum Arzt zu schaffen.
Walner bestand jedoch darauf mich zu Dr. Grendson fahren. Dieufort war seit
Montag in PoP und gerade mit Einkäufen für die Baustellen beschäftigt, als ich
ihn bat zu kommen. Der Arzt legte mir eine Infusion an und beschloss mich über
den Tag da zu behalten, damit er den Verlauf diagnostizieren kann, ob es sich
um eine Kolik oder um eine Blinddarmentzündung handelte. Die Krämpfe wurden
stärker und schmerzhafter, immer wieder musste ich erbrechen und als Dieufort
am Abend kam stand schnell fest, dass ich operiert werden muss. Immer und immer
wieder lange der Arzt in meine Seite, um die Diagnose zu demonstrieren – Schmerzmittel
hatte er mir keine gegeben, da er ja den Schmerzverlauf beobachten wollte. Sein
Ultraschallgerät ist leider keines der Besten, so dass dies ihm keine
eindeutige Diagnose geben konnte. Er wollte gleich operieren. Doch er hatte ja
den ganzen Tag gearbeitet und war müde. Um nicht von einem übermüdeten
Chirurgen operiert zu werden, bat ich die Nacht um Schmerzmittel (Traumadol)
und Infusion. Morgens um 6:00 fuhr mich Dieufort nach Marchand Dessalines ins
Krankenhaus. Dr.Grendson empfahl mir PoP, doch dies wären 3 – 3,5 std Fahrt
gewesen, Marchand „nur“ 50 Minuten. Wieder ohne Schmerzmittel, mit steigenden
Krämpfen, auf den haitianischen Straßen. Es war eine Qual. Ich kam an und mein
gesamter Körper war verkrampft, ich konnte als wie nicht atmen. Ein Zeichen von
Angst, Beklemmung des Brustkorbes, aber auch ein Symptom des schmerzhaften
Transportwegs.
Da ich eine gut zahlende Patientin bin, bekam ich ein
Einzelzimmer, das durch eine kleine Tür vom Massenraum mit 7 Kranken getrennt
war. Dankbar war ich über den Fensterplatz. Meine Daten wurden aufgenommen,
doch dann berichtete die Anästhesistin, sie habe einen dringenden Kaiserschnitt
zuvor und ich müsse warten. Es gibt nur einen Operations“saal“ (ca. 15 m2). Bis
um 13:00 nahmen die Schmerzen weiterhin zu und ich weiß, dass der Blinddarm
kurz vorm Durchbruch stand.
Sie riefen mich, ich lief in das OP-Zimmerchen von Dieufort
gefolgt, der versicherte, er wolle dabei sein. „Gad yon Blan kap bay pwoblèm
la,“ lachten sie nur und drückten ihm die Tür vor der Nase zu. Die Anästhesistin
reklamierte, dass ich den Rücken nicht gut genug krümmen konnte, um die
Spinalanästhesie zu setzen, doch man bedenke meine Krämpfe im Bauch. Ein
schmächtiges Mädchen hob mich ein wenig an der Schulter. Bei den
Kaiserschnitten in Landau hat mich ein kräftiger Arzt komplett an Schulter,
Bauch und Kopf gehalten, damit ich während den Wehen mich nicht bewege. Bei der
ersten Spritze wich ich reflexartig aus (wer lässt sich denn ohne natürliche Reaktion
in den Wirbel stechen – natürlich ohne Betäubung) und die Ärztin schimpfte, ich
hätte es versiebt. Die zweite Spritze ging komplett daneben: ein Stromschlag
durchfuhr mein rechtes Bein und es schlug rechtwinklig aus: Nerv getroffen.
Erst die dritte Spritze saß wohl dann irgendwie, so dass sie mich hinlegten und
Dr. Grendson mit einem Dr. Paul hereinkamen um sich anzuziehen. Dr.Paul meinte,
er wisse nicht wie lange es her sei, dass er diese OP gemacht habe. „Vorsicht,
Sie wissen schon, dass ich alles mitbekomme, bitte erzählen Sie mir was
Ermutigendes.“ Insgesamt habe ich wohl viel erzählt, man muss seine Angst ja
irgendwie rauslassen und als sie mir meinen Bauch mit Desinfektionsmittel
einpinselten, während ich noch alles im Lampenspiegel beobachten konnte,
bestand ich drauf, dass sie mir ein Tuch vorbanden. Wer will schon seinen
eigenen Bauch von innen sehen? Als sie das Scalpell ansetzen sagte ich: „Ich
spüre das! Nicht nur dass sie mich berühren, ich hatte zwei Kaiserschnitte, ich
weiß wie es sich anfühlen sollte. Ich spüre es ohne Betäubung!“. „oh, da
scheint die Spinalanästhesie nicht hoch genug angesetzt worden zu sein.“ Also
wurde nochmal eine Vollnarkose vorbereitet und irgendwie war mir es recht
nichts mehr mit anhören zu müssen.
Um 17:00 kam ich aus dem OP raus, benommen. Was ich wahrnahm
war, dass ich ins Zimmer kam und Dieufort bei mir saß. Im Nachhinein fragte ich
ihn welche Geheimnisse ich ausgeplaudert hätte – Aufwachmomente geben die
Wahrheit preis-, doch ich scheine ein ganz langweiliges Leben zu führen. Habe
nur gesagt: „Ich habe keine Mama. Dieufort, ich liebe Dich. Ich habe drei
Kinder: Idiani, Charline und Dieuné.“Das dafür aber gleich in zwei Sprachen
perfekt fließend J
Sie haben 12 cm in Bauchmitte aufgeschnitten, den Blinddarm
entfernt und auf der linken Seite einen Hernie operiert.
Im Zimmer waren es ca. 28° C, so lange es Strom gab, half
unser kleiner Ventilator, doch sobald der Strom unterbrochen wurde hatte ich
gar keine Lust mich über den fehlenden Windhauch zu beschweren, da im
Massenzimmer eine Oma lag, die am Sauerstoffgerät angeschlossen war. Ohne Strom
lauschten alle ganz angespannt, ob sie es packt alleine zu atmen. Ihre Kinder
fingen einen riesen Streit an, da das Krankenhaus selbst aktuell keinen
Notstromgenerator hatte bzw. der wohl nicht funktionierte. Nach lautstarkem
Hin- und Her, bei dem ich auch beschimpft wurde, sie hätten nur Augen für mich –
dabei hatte ich ebenso keinen Strom und co. , legten alle Enkel zusammen und
kauften ein Gas für die Sauerstoffflasche. Diana (Dieuforts Schwester) wachte
die ganze Zeit vor meiner Tür, denn solche Situationen können jederzeit explodieren.
Sie half mir aufstehen, wusch mich, kam bei jeder kleinen Regung zur Hilfe:
Hingabe pur. In Haiti versorgen die Verwandten die Kranken, es gibt weder
Essen, noch Trinken, noch Wasch- oder Toilettenhilfe. Eine Krankenschwester
betreut ca. 25 Kranke, legt Infusionen, spritzt und ist eben für medizinisches
zuständig. Der Arzt verschreibt Medikamente und Infusionen, die dann ein
Angehöriger in der Krankenhausapotheke kaufen muss. Nun sind sie dort nicht gut
ausgestattet, so dass Dieufort öfters nach Gonaives fahren musste und es also
2-3 Std Verzögerung gab, bis ich hatte was der Arzt verschrieb. Dr. Grendson kam
fast jeden Abend einmal zur Visite, ansonsten waren die Krankenschwestern
wirklich rührend. Die Anästhesistin hat mich wohl besonders ins Herz
geschlossen. Als ich mich am dritten Tag immer noch ständig übergeben musste
und Dieufort noch nicht da war, ging sie selbst los – an ihrem freien Tag- und
besorgte eine Spritze gegen Erbrechen und eine Stunde später hatte sie
irgendwoher eine Infusion aufgetrieben.
Seit Mittwoch durfte ich nichts trinken. Ich habe noch nie
zuvor erlebt was es bedeutet Durst zu haben. Husten quälte mich am ersten Tag
nach der OP, am Dritten sollte ich beginnen zu Trinken, doch ich erbrach
jeweils alles. Essen durfte ich nicht, da der Darm seine Funktion noch nicht
aufgenommen hatte. Das „Bett“ ist eine Liege wie man es bei einem deutschen
Arzt findet, ein wenig Schaumstoffpolster, in der Steißgegend eine Lücke mit
Eisen drunter. Trotz Ausstopfung war mein Rücken, Becken, Steiß ab dem Freitag
blau und wund. Aber sitzen konnte ich eben auch nur ca. 10 min.
Die herzzerreißenden Schreie der Kinder werde ich nie
vergessen. Einer wegen Brandwunden, ein Anderer ist in Glasscherben gefallen.
Das behandelt man hier alles ohne Betäubung. Immer wieder gebärende Frauen ein
Zimmer weiter und die süßen Schreie der Neugeborenen. Im Massenzimmer die alten
Menschen, bei denen ich mich frage, wieso der Tod nicht schnell und friedlich
kommen kann. Es ist eine Leidensqual. Unglaublich.
Montags beschlossen wir nach Hause zu fahren.
Gott hat mir mein Leben ein weiteres Mal geschenkt!
Er allein hat mich gerettet, trotz aller widrigen haitianischen
Umstände.
Ich weiß nicht wieso dies so kommen musste, doch es wird ein Wendepunkt
in meinem Leben sein.
Dankbar und reich gesegnet darf ich nun Tag für Tag kleine Fortschritte
sehen.
DANKE für all Eure Gebete! Ich habe sie gebraucht!
Eure Martina
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